Wir treffen uns zufällig in der Stadt, kennen uns noch aus der Schule und haben uns schon länger nicht mehr gesehen. Die Frage kommt auf, was ich jetzt mache, und ich sage dir, eine Ausbildung in der Heilerziehungspflege. Dein Blick verrät mir, dass du keine Ahnung hast, was das ist, und ich erkläre zum x-ten Mal, dass ich in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung arbeite. Wie so oft bekomme ich das Gleiche zu hören: „Also ich könnte das ja nicht. Ist das nicht ein total schwerer Job?“
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Ich leide unter ständigem Schlafmangel, so etwas wie einen Schlafrhythmus habe ich schon lange nicht mehr und der Schichtdienst macht mich manchmal fertig. Da der Dienstplan höchstens einen Monat vorher steht, kann man kaum Termine langfristig planen.
Was ich dir sage:
Nein, der Job macht mich glücklich. Es ist einfach schön, die Bewohner nicht nur temporär zu erleben, sondern immer. Sie morgens wie abends zu begleiten, ständig auf dem Laufenden zu sein und alle Lebenslagen mitzuerleben, die Guten wie die Schlechten.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Manchmal würde ich mich am liebsten krank melden, wenn ich Geburtstage von Familie oder Freunden verpasse, weil ich arbeiten muss. Das Gefühl ist ätzend und treibt mir fast die Tränen in die Augen, wenn ich genau weiß, dass meine Liebsten gerade gemeinsam unter‘m Weihnachtsbaum Geschenke auspacken, während ich auf der Arbeit hocke.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Es ist wunderschön die Bewohner mit leuchtenden Augen zu sehen, wenn sie gemeinsam den Tannenbaum schmücken oder ihre Geschenke auspacken. Wenn sie an Silvester voller Freude dem Tischfeuerwerk folgen. Aber auch die kleinen alltäglichen Momente sind goldwert, in denen sie so unsagbar viel Freude ausstrahlen, dass man selbst seine Sorgen für einen Moment vergisst.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Kacke, Kotze und Pisse wegzuwischen von früh bis spät, macht wohl eher niemanden glücklich. Sich mit Pilzen, Infektionen und Dekubiti auseinanderzusetzen stinkt im wahrsten Sinne des Wortes. Keine Zeit für Pädagogik zu haben, weil man ständig in der Pflege ist, ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Während der Pflegesituationen kann ich mich ganz auf den Bewohner einlassen und habe wirklich Zeit nur für ihn. Es ist ein gutes Gefühl, dass die Bewohner so ein großes Vertrauen in mich setzen, ein gutes Gefühl, dass ich einen so privaten Bereich betreten darf und auch in der Pflege steckt eine Menge Pädagogik.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Bei Team denken meine Arbeitskollegen scheinbar oft genug „Toll, ein anderer macht’s.“ Irgendwie hat jeder sein eigenes Ding, es wird hinterm Rücken geredet und Teamgespräche enden bloß in endlosen Diskussionen ohne wirkliche Zielsetzungen.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Wenn es darauf ankommt, stehen wir als Team zusammen und unterstützen uns gegenseitig. Aus der Fülle an verschiedenen Professionen schöpfen wir immer eine Vielzahl an Blickwinkeln und Ideen, was jeden Einzelnen und das Team als Ganzes ungemein nach vorne bringt.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Die Angehörigen auf der Arbeit treiben mich gelegentlich in den Wahnsinn. Wissen alles besser, halten sich nicht an Absprachen und meinen sowieso, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Es sind immer wieder die gleichen Diskussionen die aufkommen und was gewünscht wird, ist für uns einfach nicht umsetzbar.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Wenn die Angehörigen unsere Arbeit wertschätzen, ist dies das größte Lob, was man bekommen kann. Aufmerksamkeiten wie Schokolade machen einen Dienst oft viel erträglicher und Plaudereien sind eine nette Abwechslung.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Wenn ich zwei Stunden lang mit einem Bewohner verbracht habe um ihn irgendwie aus seiner Anspannung zu holen, laufe ich danach sicherlich nicht freudestrahlend zum nächsten. Eher sitze ich im Büro und muss ein paar Mal tief durchatmen, bis ich überhaupt wieder Motivation finde, meinen Arsch hochzubekommen.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Es ist ein unsagbar positives Gefühl zu wissen, dass man einem Bewohner gerade wirklich geholfen hat, dass es ihm jetzt besser geht als vorher. Ein unsagbar positives Gefühl zu wissen, dass der Bewohner sich stetig weiterentwickelt, dass man selber an jeder schwierigen Situation wächst.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Einen nicht unwichtigen Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich damit, Wäsche zu waschen, Brote zu schmieren, aufzuräumen, zu putzen, zu kochen oder was sonst noch so anfällt im Haushalt.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Den Bewohnern ein geborgenes Umfeld zu bieten, ist einfach Teil meines Jobs, da viele der Leute es nicht alleine schaffen, für sich selber zu sorgen. Wäre ich nicht da, würden sie hungern und im Dreck ersticken.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Jetzt in der Ausbildung denke ich manchmal, ich werde verrückt. Wenn mal wieder mehrere Klausuren, ein Praxisbericht und ein Leistungsnachweis geschrieben werden wollen, sitze ich schon mal völlig verzweifelt vor meinen Materialien und überlege mir, ob ich nicht doch mit Hartz IV auskommen würde.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Am Ende einer Klausurphase schaue ich jedes Mal auf den Berg erledigter Aufgaben zurück und ich wünschte, ich könnte sagen: „Nächstes Mal fange ich früher an.“ oder „Nächstes Mal mache ich mich nicht so verrückt, weil ich ja weiß, dass ich alles schaffen werde.“ und auch wenn ich weiß, dass dies sicherlich nicht eintreffen wird, wächst immerhin meine Sicherheit, dass ich es auch das nächste Mal schon irgendwie hinbekomme.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Jeder weiß, dass Praxisbesuche absolut fingiert sind und keinesfalls der Realität entsprechen. Zu viert im Dienst? Utopie! Regelmäßig Zeit, sich in Ruhe eine dreiviertel Stunde mit nur einem Bewohner zu beschäftigen? Schön wär‘s!
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. In den Praxisbesuchen habe ich die Zeit, mich wenigstens einmal nur auf einen Bewohner zu konzentrieren. Die Praxisberichte helfen mir, die Bewohner besser kennenzulernen, ihre Ziele zu verstehen und Handlungsansätze zu erarbeiten.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Ich muss mindestens einmal in der Woche waschen. Möchte ich irgendwo direkt nach der Arbeit hingehen muss ich zumindest frische Klamotten dabei haben, nach einer Dusche sehne ich mich trotzdem jedes Mal.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Ich kann auf der Arbeit anziehen was ich möchte. Keiner schreibt mir vor, welche Farben in Ordnung sind und welche nicht, ob kurze oder lange Hose, wenn es im Sommer fast 40° sind. Es sieht bei uns nicht nach Heim aus, weil keiner Arbeitskleidung trägt.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Manchmal könnte ich laut losschreien, wenn mir in der Schule jeder etwas von Fachleistungsstunden und smarten Zielen, von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung erzählt, und ich dann auf die Arbeit komme und alle in ihren festen Strukturen festhängen, die schon zig Jahre bestehen und es absolut fraglich ist, ob diese Strukturen den Bewohnern wirklich gut tun.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Der Bereich der Inklusion ist im ständigen Wandel und ich freue mich, Teil dessen zu sein. Auch wenn ich nicht genau weiß, wo diese Reise hingeht, bin ich mir doch sicher, dass es sich zum positiven für die Bewohner wenden wird, und das versetzt mich in freudige Erwartung.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Die Bewohner tagtäglich mehrmals aus ihren Betten, Rollstühlen oder von wo auch immer zu mobilisieren und mit ihnen gemeinsam einige Schritte zu laufen, ist schlichtweg körperlich belastend. Rückenschmerzen hat so gut wie jeder auf der Arbeit, egal wie alt oder wie fit.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Jemanden zu befähigen, mobil zu bleiben, auch wenn er das aus eigenem Antrieb nicht mehr sein kann, ist ein gutes Gefühl. Keiner liegt gerne den ganzen Tag im Bett, in der immer gleichen Position und wenn ich dabei helfen kann, dies zu verhindern, geht es allen besser.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Es ist so furchtbar anstrengend, immer denselben Vorurteilen zu begegnen. Die müssen doch totunglücklich sein. Die sind bestimmt auch oft aggressiv. Dann wechselst du ja nur Windeln. Die können doch eh kaum was alleine und beibringen kann man denen sowieso nichts.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Ich scheue keine Diskussion über meinen Beruf, suche immer wieder das Gespräch, denn wer, wenn nicht ich, kann Vorurteile aus dem Weg räumen, Verständnis schaffen und den Leuten in meiner direkten Umgebung ein wenig Angst vor Menschen mit Behinderung nehmen. Vorurteile abzubauen dauert zwar, ist mühselig und langwierig, kann aber nur zu Erfolgen führen.
Was ich dir gerne antworten würde:
Ja, es ist ein total schwerer Job. Ich muss während meines Dienstes permanent aufmerksam sein, alle Bewohner ständig im Blick haben. Darüber hinaus muss ich auch auf meine Belastung achten, darf nicht in Stress geraten. Eigentlich bräuchte ich oftmals acht Augen, sechs Ohren und am besten 24 Hände, die ich dann ausfahren könnte, wie aus Gummi. Hab ich aber nicht.
Was ich dir sage:
Nein, mein Job macht mich glücklich. Durch ihn habe ich gelernt, aufmerksamer durch‘s Leben zu gehen. Menschen, die Hilfe brauchen, fallen mir viel eher auf. Ich habe gelernt, mehr auf mich zu achten, auf meinen Gemütszustand und meine Gesundheit, denn nur wenn ich ausgeglichen bin, kann ich 100 % geben.
Fazit:
Ich hole gerade Luft, da unterbrichst du mich und sagst, du müsstest los. Während du dich umdrehst und gehst, komme ich etwas ins Grübeln über die Dinge, die sich gerade in meinem Kopf abgespielt haben. Verschwiegen habe ich die Dinge nicht, weil sie mir peinlich sind, sondern weil ich nicht noch weiter Vorurteile schüren wollte. Die Wahrheit ist beides, das Gesagte und das Gedachte. Mein Vater sagt immer, Beruf – das käme von Berufung, und so langsam beginne ich zu verstehen. Denn auch wenn es vieles gibt, was mich in meiner Tätigkeit stört, was unangenehm ist, so könnte ich mir keinen anderen Bereich vorstellen. Die Arbeit gibt mir viel mehr, als das sie nimmt, und während sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet, weil mir viele wundervolle Momente in den Sinn kommen, die ich schon in der Wohngruppe erlebt habe, mache ich mich langsam auf den Weg zur Nachtschicht, während sich meine Freunde auf ein Bier treffen.
Von Saskia Benner, Ben Bergener und Matthias Pidpilik (HEP M1)