Vor kurzem hat Bundeskanzler Merz die gestiegenen Kosten der Hilfen für Menschen mit Behinderung als „nicht mehr akzeptabel“ bezeichnet. Eine Äußerung, die uns und andere Einrichtungen der Eingliederungshilfe alarmiert! Vor diesem Hintergrund haben Holger Gierth, der Vorstandsvorsitzende des Franz Sales Hauses und Vertreter:innen verschiedener Beiräte aus unserem Haus einen Offenen Brief an die Bundesministerinnen Karin Prien und Bärbel Bas sowie an den Essener CDU-Bundestagsabgeordneten Matthias Hauer geschrieben. Darin fordern sie die Politik auf, sich nachdrücklich gegen drohende Kürzungen und für die Sicherung einer wirksamen Eingliederungshilfe einzusetzen.
Hier ist der Wortlaut des Briefes:
Sehr geehrte Frau Bas, sehr geehrte Frau Prien, sehr geehrter Herr Hauer,
als große Einrichtung der Behindertenhilfe sind wir in großer Sorge über die künftigen Rahmen‐ und Finanzierungsbedingungen unserer wichtigen Arbeit. Die Aussage unseres neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz, der die gestiegenen Kosten in der Eingliederungshilfe als „nicht länger akzeptabel” bezeichnet, hat uns irritiert und alarmiert. Einsparungen ausgerechnet in diesem Bereich vornehmen zu wollen, gefährdet das verbriefte Recht auf Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
Im vergangenen Bundestagswahlkampf durften wir Sie, Herr Hauer, als Essener CDU‐Kandidat für den Bundestag in unserem Betrieb „Alte Post” der Franz Sales Werkstätten GmbH (FSW) begrüßen. Hier arbeiten hauptsächlich Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. In den anderen Betrieben der FSW sind Beschäftigte mit geistiger Beeinträchtigung und/oder mehrfachen Behinderungen tätig. Sie alle nutzen bewusst das Recht auf Arbeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM).
In den weiteren Einrichtungen des Franz Sales Hauses werden ebenfalls Menschen mit verschiedenen und mehrfachen Beeinträchtigungen unterstützt und gefördert: in ihrem Alltag, ihrer Ausbildung oder auch in ihrer Freizeit. Dabei bedarf es immer der Kompetenz von Menschen, die sich mit den unterschiedlichen Beeinträchtigungen auskennen. Es ist existenziell, dass sich erfahrenen Mitarbeitende fachkundig um die Beschäftigten und Klient:innen kümmern. Dabei darf auch die Förderung nie in Vergessenheit geraten. Denn auch ein Mensch mit einer komplexen Beeinträchtigung kann immer wieder Fortschritte erzielen und mehr Selbstständigkeit erreichen.
Aber diese Förderung muss auch finanziert werden.
Schon jetzt ist die Personalsituation in der Eingliederungshilfe mehr als schwierig – erst recht dort, wo auch Pflege eine Rolle spielt. Aber gerade für die Menschen in diesen Einrichtungen ist die Anwesenheit von geschultem Personal enorm wichtig. Auch die Versorgung mit Hilfsmitteln ist oft problematisch. So sind in unseren Werkstätten beispielsweise viele Beschäftigte auf einen sog. „Talker“ angewiesen, weil sie selbst nicht sprechen können. Doch schon jetzt wird nur das Gerät zur Verfügung gestellt, die Nutzung müssen sich Angehörige und Betroffene selbst erschließen, denn es fehlt das Geld für die Einrichtung des Geräts.
Gleichzeitig sehen Eingliederungshilfe und Pflege sich mit stetigen Kostensteigerungen durch behördliche Vorgaben konfrontiert. Entgegen dem Wunsch nach weniger Bürokratie werden immer mehr Nachweise, Kontrollschleifen, Dokumentationen etc. gefordert. Hier könnte die Politik wirksam werden, um Kosten nicht weiter zu treiben und dem hoch belasteten Fachpersonal wieder Raum für seine wichtigen pädagogisch‐pflegerischen Aufgaben zu eröffnen.
Vor diesem Hintergrund sind Kürzungen, die sich unmittelbar auf besonders vulnerable Menschen auswirken, undenkbar. Schon jetzt werden Gelder von den Landschaftsverbänden gestrichen. Wenn das so weitergeht, ist der Rechtsanspruch auf Teilhabe von Menschen mit Behinderung ernsthaft in Gefahr. Es ist doch viel sinnvoller, in eine gelingende Teilhabe zu investieren, damit Menschen mit Beeinträchtigungen möglichst unabhängig und mit wenig Assistenzbedarf leben können. Das bringt nicht nur den Gedanken der Inklusion voran, sondern spart mittel‐ und langfristig auch Geld. Dafür die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, wäre eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft.
Wir fordern Sie als Mitglieder des Kabinetts bzw. des Bundestags auf, sich gegen eine drohende Kürzung der Eingliederungshilfe einzusetzen. Lassen Sie es nicht so weit kommen, Menschen mit Behinderung noch stärker zu benachteiligen. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, notwendige Hilfen zu sichern und Menschen mit Behinderung und/oder Pflegebedarf bestmöglich in ihrer unabhängigen Teilhabe zu fördern.
Wir bedanken uns für Ihre Zeit und setzen auf Ihre Unterstützung!
Mit freundlichen Grüßen
Holger Gierth, Vorstandsvorsitzender des Franz Sales Hauses Susanne Buers, 1. Vorsitzende des Angehörigenbeirats der Franz Sales Werkstätten
Lars Hanf, 1. Vorsitzender des Werkstattrates Patricia Rosner, Frauenbeauftragte der Franz Sales Werkstätten
Gisela Knappe, Bewohnerbeirätin im Franz Sales Haus